Wie ich die "Auferstehung" verstehe

Mein Verständnis von Auferstehung
ist sehr stark von meinem Studium bei Jürgen Moltmann geprägt (s. dazu J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott). Eigentlich ist es sinnvoller, von „Auferweckung“ zu sprechen: Nicht der tote Mensch erhebt sich aus eigener Kraft, sondern Gott weckt ihn auf. Es handelt sich um eine theologische Konstruktion, die auf die Krise des sog. Tun-Ergehen-Zusammenhangs reagiert.

Theologische Konstruktionen
sind persönliche Glaubensüberzeugungen, die sich im Laufe der Erfahrungen gebildet haben.
Im Grunde steckt diese Vorstellung schon in Martin Luthers bekannter Definition von Glauben und Gott (in seiner Auslegung des 1. Gebots im Großen Katechismus): „Die beiden gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott.“ Oder – in einer freien Übertragung einer anderen Aussage im gleichen Abschnitt: „Mein Gott ist das, was mir im Leben Halt und Orientierung gibt.“ Dies hängt (u.a.) mit meinen persönlichen Vorerfahrungen, meinem Wissen und meiner aktuellen Situation zusammen. Aus dem, was ich – z.B. im familiären Kontext, aus Medien, in der Schule oder in der Kommunikation mit anderen – wahrgenommen und erfahren habe, bastele ich mir gewissermaßen (mehr oder weniger unbewusst) ein „Mindset“ – d. h. ein Selbst-, Menschen- und Weltbild – zusammen, das für mich gerade passt und zu dem Geist wird, der mir im Leben Halt und Orientierung gibt. Dabei ist natürlich noch nichts darüber gesagt, ob mir dieser Geist langfristig guttut oder nicht. Er passt eben gerade für mich – jedenfalls solange, bis mich sehr starke oder wiederkehrende Erschütterungen („Irritationen“) zwingen, diesen Geist aufzugeben und meine bisherige Lebenseinstellung zu ändern. (Aus diesem Blickwinkel betrachte ich auch neutestamentliche Exorzismen, d.h. „Austreibungen böser Geister“).

Die Annahme, die Auferweckung der Toten bzw. Auferweckung Jesu sei „nur“ ein theologisches Konstrukt, geht an meiner Intention vorbei. „Auferweckung der Toten“ kann gar nichts anderes sein als ein theologisches Konstrukt, eine persönliche Glaubensüberzeugung, die entweder dazu beiträgt, dadurch Halt und Orientierung zu finden – oder eben nicht. Für manche Menschen ist die Begegnung mit diesem Konstrukt jedenfalls zu einer heilsamen Irritation geworden, die ihre bisherige – in der ständigen Wiederkehr des Gewohnten gefangenes – Mentalität erschüttert hat, sodass sie eine neue Einstellung zum Leben gewonnen haben.

Die Krise des sog. Tun-Ergehen-Zusammenhangs („Wie ich mich verhalte, so wird es mir ergehen“; s. dazu den Artikel im „WiBiLex“: https://t1p.de/t0dv8) wird z. B. im Hiob-Buch dargestellt: Der gottesfürchtige Hiob erfährt schuldlos immenses Leid. Dies wirft die Frage auf: Ist Gott wirklich gerecht, wenn Unschuldige leiden und „vor der Zeit“ sterben müssen, während Schurken Erfolg haben und Ansehen bis an ihr Lebensende genießen dürfen? In der Theologiegeschichte wird diese Frage als „Theodizee-Frage“ weitergeführt (s. dazu den Artikel im „WiReLex“: https://t1p.de/v4lm).

Historisch gesehen ist dieses theologische Problem im Judentum v.a. im Kontext der religiös-politisch begründeten Makkabäer-Aufstände gegen die feindliche Oberherrschaft (Mitte des 2. Jh. v. Chr.) virulent geworden: Wie sind die Taten der Männer zu bewerten, die im Kampf gegen „die Ungläubigen“ ihr Leben verloren haben? Als Helden und Märtyrer oder als Abenteurer, die ihren Tod selbst verschuldet haben? (Dass sich solche Fragen immer wieder stellen, zeigt die Geschichte.)

Als eine Antwort darauf haben jüdische Theologen auf theologische Konstruktionen in früheren apokalyptischen Schriften (wie dem äthiopischen Hennochbuch aus dem 3. Jh. v. Chr.) zurückgegriffen. So heißt es in einem (zu Beginn der Aufstände entstandenen) Vers im Danielbuch: „Viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande“ (Dan 12,2) Die Passage spielt dabei auf das sog. Zweite oder „Jüngste“ Gericht an. „Nur so konnte man am Tun-Ergehen-Zusammenhang und damit verbunden an der Gerechtigkeit Gottes festhalten, nachdem beide durch den Tod von Märtyrern in Frage gestellt wurden.“ (A.A.Fischer im WiBiLex-Artikel zu „Auferweckung“: https://t1p.de/ts9h)

Nach verschiedenen Schriften des Neuen Testaments (wie v.a. 1. Kor, Apg und Synoptiker) ist die jüdische Gesellschaft im Glauben an die Auferstehung der Toten gespalten. In Apg 4,2 lehren Petrus und Johannes „das Volk und verkündeten am Beispiel von Jesus die Auferstehung der Toten“ (Basisbibel). Die herrschenden Sadduzäer aber „behaupten, dass es keine Auferstehung der Toten gibt“ (Mk 12,18). Sie orientierten sich ausschließlich an der Thora, den fünf Büchern Mose. Dort ist davon nichts zu lesen. Wahrscheinlich hatten sie auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung auch persönlich keinen Bedarf an einer Korrektur im „zweiten Gericht“. Jedenfalls verweist Paulus in Apg 23,6 darauf, dass er (als Pharisäer) nur deshalb vor Gericht stehe, weil er an die Auferstehung der Toten glaube.

In ihren sehr lesenswerten Buch „Wut im Bauch. Hunger im Neuen Testament“ (Gütersloh 22016) folgt die Schweizer Neutestamentlerin Luzia Sutter Rehmann – sie hat sich u.a. mit Apokalyptik und Auferstehungshoffnung beschäftigt – der Spur des Hungers und der Rebellion der Notleidenden im Neuen Testament. Für sie ist deutlich, dass Jesus (bzw. die Jesus-Bewegung) deutlich auf der Seite des unterdrückten Volkes steht.

Mit J. Moltmann leuchtet mir ein, dass die Sympathisant*innen Jesu nach dessen Hinrichtung auf das theologische Konstrukt der Auferstehungshoffnung zurückgegriffen haben. Für sie war er der erwartete Messias (Christus), der sich (wie ein guter Hirte) wirklich um sein Volk kümmert – im Gegensatz zu den religiösen Führern Israels, die Hirten sein wollen; dabei sind sie „gierige Hunde, die den Hals nicht vollkriegen“ (Jes 56,11). Für die Jesus-Bewegung der ersten Jahrhunderte bestand also kein Zweifel: Jesus war ein Märtyrer und Held. An ihm hat Gott offenbar gemacht, dass er auch über den Tod hinaus zu den Seinen steht.

Die Auferweckung des nach traditioneller Meinung „Verfluchten“ (5. Mose 21,22-23: Jemand, der wegen einer Sünde aufgehängt wurde, soll nicht über Nacht „an dem Holz bleiben“ – „denn ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“; vgl. Gal 3,13) wird nicht erst in einer fernen Zukunft erwartet. Die Auferweckung der Toten wirkt jetzt und erschüttert alle weltlichen Vorstellungen von Ordnung (Matth 27,51f)! Das führt dazu, dass viele Menschen deshalb nicht mehr nach dem „wandeln“, was ihnen bisher vertraut und „in Fleisch und Blut übergegangen“ war, „sondern nach dem Geist“ (Röm 8,4).

Denn Jesus ist „als Erstling unter denen, die entschlafen sind“ von Gott auferweckt worden (1. Kor 15,20). Das heißt: Die Auferweckung Jesu ist so etwas wie der „Urteilstenor“, der lange vor einem schriftlichen Urteil verkündet wird. Dazu gehört das „Gehen zum Vater“ (z.B. Joh 14,28; 16,10) bzw. die „Himmelfahrt“ (Apg 1). Nach dem Glaubensbekenntnis sitzt Jesus anschließend „zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“. Zusammen bedeutet diese theologische Konstruktion: Jesus kommt – als Märtyrer, als Zeuge für Gott – nicht nur „zum ewigen Leben“ (d.h. in die Gemeinschaft mit Gott). Er nimmt in dieser Gemeinschaft mit Gott eine besondere Position ein: Als „Sohn Gottes“ ist er der von Gott eingesetzte wirkliche König und gute Hirte. Als „rechte Hand“ Gottes kümmert er sich um die „Ordnung Gottes“, d.h. der Liebe, Achtung und Anerkennung (1. Joh 4,16) und setzt sich dafür ein, dass „alles sehr gut“ (1. Mose 1,31) wird.

Als „Urteilstenor“ sagt die Auferweckung und Himmelfahrt Jesu gleichzeitig denen, die „gerecht“ leben wollen: An seinem Leben könnt ihr ablesen, worauf das göttliche Urteil hinausläuft. Wer sich so verhält wie Jesus von Nazareth, ist sein Nachfolger, seine Nachfolgerin „an der Seite Gottes“. Er/sie kommt ebenfalls in das „ewige Leben“ – und sitzt mit dem Christus Jesus „im Regiment“. Das heißt: Die Nachfolger*innen Jesu Christi wirken – „in Gottes Namen“ – mit an der Königsherrschaft Gottes und engagieren sich dafür, dass „Sein Reich komme“.